Erinnerungen eines Priesterkindes
Was habe ich noch alles in Erinnerung?
Sicherlich irgendwann den Gedanken, dass wenn ein Priester mit einer Nonne ein
Kind zeugt
nur die absolute Sünde dabei rauskommen kann. Aber dann auch diesen
"JETZT ERST RECHT"-Gedanken,
es jetzt erst recht zu versuchen mit dem
Glauben. Nicht an Sünde, sondern an Wohlwollen. Nicht an Hass,
sondern an
Liebe. Und mit diesem Gedanken sollte ich durch mein Leben gehen, trotz aller
Umstände.
Zudem genügend Sünden auf der Welt erleben, die den
Sarkasmus, der schon damals in diesem Sünde-Gedanken
zum eigenen Schicksal lag
noch verstärkten. Nicht ernst zu nehmen, dieser Sünde-Gedanke. Was man
allerdings
dann doch ernst nimmt: Man ist was besonders durch diese Umstände.
Jemand hat sich aufgrund von Liebe
etwas getraut, dass manche als Sünde sehen.
Jemand sollte lieber einem Fremden, Andersgläubigen, den ansonsten
jeder
verurteilt das Leben retten, anstatt ihn auch zu verurteilen. Genauso schenkt
man lieber ein Leben indem man ein Kind zeugt,
das dieses Leben lieben wird,
als zu verdrängen und weiter zu verdrängen,
um am Ende das eigene Leben dann
eben nicht mehr lieben zu können.
Ich liebe mein Leben, ich habe so viele Dinge erlebt an die
ich mich immer, mein Leben lang mit einem
inneren Lächeln erinnern werde, und
das genügt. Es wiegt alle schlechten Erlebnisse auf, und selbst wenn
es das
nicht täte, das Lächeln wäre immer noch da. Vielleicht seltener, aber es wäre
noch da.
Das innere Lächeln beim Gedanken an Erinnerungen.
An mich und den Nachbarsjungen, wie ich ihm mit den Fingern
zeige wie alt ich schon bin, vier kleine Finger, ich bin so alt,
vier Jahre bin
ich alt. Dabei sah ich nicht zu meinem Freund, dem Nachbarsjungen auf, sondern
ich beobachtete
die Schatten meiner Finger. Ich zählte nicht die vier Finger,
sondern die vier Schatten meiner Finger,
ein Schatten, zwei Schatten, drei
Schatten, vier Schatten. Vier, so alt bin ich, schau!
Ich erinnere mich an einen Kirchentag, in einem Stadion, wo
eine riesige aufgeblasene Gummiweltkugel herumwanderte
und die Leute für den
Frieden sangen.
Und daran, wie ich die Gästehäuser erforscht habe, als ich mit meinen Eltern
auf solchen Treffen war. Damals musste ich
in jedem Haus jeden Knopf von jedem
Stockwerk im Aufzug gedrückt haben, das Stockwerk von vorne bis hinten
abgegangen sein,
erst dann war ich zufrieden.
Und heute wohne ich in einem Haus im ersten Stock und habe mich bisher nie über
mein Stockwerk hinausgetraut.
Vorbei ist's mit dem kindlichen Forscherdrang.
Ich erinnere mich auch daran, wie meine Eltern überall, an
jeder Kirche anhalten mussten um sie sich anzuschauen.
Und wie ich mich dann
bei so etwas gesträubt habe, nicht mit wollte. Nicht schon wieder in eine
Kirche!
Und was mache ich heute? Heute, wenn ich in den Bergen wandern gehe, mache ich
vor fast jedem Flurdenkmal ein Kreuzzeichen,
nur weil es mich an die Kirchen
durch die mich meine Eltern geschleppt haben erinnert.
Ich schaue in jede
kleine Kapelle, Kreuzzeichen, ein paar Cents für den Opferstock, kurz hinsetzen
und im Gedanken ein Gebet sprechen.
Ich erinnere mich, wie ich andächtig das Tischgebet aufsagen
durfte als Kind. Jedes Tierlein hat sein Essen, jedes Blümlein trinkt von
dir...
eigentlich habe ich an dieser Stelle einen Fehler gemacht, ich habe gesagt:
Jedes Blümlein trinkt von MIR. Als meine Mutter mich
darauf hinwies nahm ich
die Gießkanne, goss die Blumen auf dem Fensterbrett und meinte: "Wieso?
Sie trinkt doch von mir.“
Und heute? Heute danke ich Gott immer noch manchmal vor dem Essen, nur in einem
kurzen "Dem Herr sei Dank für Speis und Trank"-Satz.
Kommt darauf an
wie hungrig ich bin. Denn wenn ich sehr hungrig bin vergesse ich es manchmal.
Ich erinnere mich auch, dass ich eines Tages ins Wohnzimmer
kam, im Fernseher lief gerade die Tagesschau.
Und neben irgend einer
Katastrophe bei der viele Menschen sterben mussten, wurde der Geburtstag irgend
eines Prominenten bekanntgegeben.
Und ich fragte: "Wieso reden die zuerst
davon, wie viele Menschen gestorben sind, und im nächsten Moment von irgend einem
Prominenten?
Das ist doch schrecklich."
Ich erinnere mich an Familienkreise, zu denen meine Eltern
eingeladen hatten. An einen freundlichen Herrn mit Schnauzer,
der immer Pfeife
geraucht und der beim Kartenspielen am lautesten gelacht hat. An gemeinsames
Singen und gemeinsames Essen und Trinken.
Und an Ausflüge, an Wanderungen bei denen ich immer versucht
habe, auf den nächstbesten Felsen zu klettern,
um zu zeigen wie gut ich
klettern kann.
Heute bevorzuge ich im Gebirge Gipfel die man ohne Klettern erreicht als
Wanderziel.
Ich erinnere mich an die polnischen Asylbewerber, die mein
Vater in Deutsch unterrichtet hat, und die er auch zu uns nach Hause einlud.