Dass mein Vater Priester ist, wusste ich immer schon. Es war für mich auch nichts Ungewöhnliches, eben ein Beruf wie jeder andere auch. Sicher, er kam nur selten zu Besuch, und wenn meine Mutter und ich ihn mal besuchten, ging das recht heimlich vonstatten, aber das kam mir eher abenteuerlich als fragwürdig vor.
Erst in der Grundschule wurde mir klargemacht, dass ich niemandem erzählen darf, was mein Vater wirklich macht. Sehr verwirrend für eine Siebenjährige, die genau weiß, dass viele Nachbarn und Bekannte ihren Vater als Kaplan erlebt haben und von seiner heimlichen Familie wissen.
Es war ja auch nicht so, dass er uns zugunsten seiner Arbeit total abgeschoben hätte. Aus seiner Sicht hat er so viel Zeit wie möglich mit uns verbracht und sich auch gerne um seine Familie gekümmert – so lange es halt seinem Beruf nicht abträglich war. Ich würde mich insgesamt als sehr schwierigen Menschen charakterisieren. Ich wirke sehr offen, bin geradezu harmoniesüchtig, aber lasse niemanden wirklich an mich heran. Ich war immer ein Außenseiter und dazu noch seit frühester Kindheit sehr krankheitsanfällig, beides hat sich erst in letzter Zeit ein wenig geändert.
Mir kommt es eigentlich zu einfach vor, all diese Probleme auf meine Herkunft zurückzuführen, aber zu einem gewissen Grad spielt es sicherlich eine Rolle, wenn einem von Kindheit an ein Gefühl von „Darauf kann ich mich verlassen“, von Offenheit und Zutrauen weggenommen wurde.
Ich hatte bislang noch keine Beziehung und bin mir auch nicht sicher, ob ich mit einem Mann zusammenleben könnte. Eine liebevolle Partnerschaft meiner Eltern habe ich nie kennengelernt, alles geschah – wenn überhaupt – heimlich und hinter verschlossenen Türen.
Ich will meinem Vater nicht alle Schuld in die Schuhe schieben, er hatte wohl damals einfach nicht die Kraft, sich anders zu entscheiden.
Vor zehn Jahren kam ich zu dem Entschluss, nicht länger über meine Herkunft zu schweigen. Mir erschien das vollkommen unsinnig, denn was sollte schon passieren, wenn ich offen darüber sprach?! Viele wussten „hintenrum“ sowieso von meiner Familiengeschichte. Und neue Freunde sollten wissen, was Sache ist, bevor sie es von anderen erfuhren. Und bis jetzt habe ich diesen Vorsatz nicht bereut, im Gegenteil, man fühlt sich richtig befreit, wenn man nicht länger aus falscher Rücksichtnahme lügen will!

Priesterkind zu sein, ist Teil meines Lebens und beeinflusst mich sicher mehr, als ich glauben will. Aber ich versuche, dass es mein Leben nicht in negativer Form bestimmt, was mir hoffentlich im Laufe der Zeit immer mehr gelingen mag.